- landesherrliches Kirchenregiment wird zum Staatskirchentum
- landesherrliches Kirchenregiment wird zum StaatskirchentumDie von der Reformation initiierten gesellschaftlichen Umwälzungen hielten Europa noch für ein Jahrhundert in Atem und mündeten politisch in den fürstlichen Absolutismus. Schon Luther hatte die Landesfürsten gegen den drohenden gesellschaftlichen Umsturz unterstützt, indem er die Pflicht der Christen zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit hervorhob. Neben dieser Legitimation förderten in den protestantischen Gebieten auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Aufhebung der Klöster und des Zölibats die Unabhängigkeit der weltlichen Herrscher. Denn die wirtschaftliche Sicherung der lutherischen Pfarrer oblag damit auch den Landesherren, die den kirchlichen Besitz als willkommenen Ausgleich für die Besoldung der Geistlichen betrachteten. Auch in den Kirchenordnungen wurden die Fürsten in ihrer Rolle als Oberhaupt der Landeskirchen weiter bestärkt, eine Entwicklung, die der Augsburger Religionsfrieden weiter vorantrieb, in dem das Bekenntnis des Landesherren die Konfession der Einwohner bestimmte (»Cuius regio, eius religio« = wessen Herrschaftsgebiet [es ist], dessen Religion [soll gelten]).Vor allem im 17. Jahrhundert griff das landesherrliche Kirchenregiment - so wurde die Leitung der Kirche durch den protestantischen Kirchenherrn bezeichnet -, ungeniert kirchlich reglementierend und politisch bestimmend, tief in das Leben der Kirchen ein. Die Maßnahmen reichten von massivem Druck, am Gottesdienst teilzunehmen, bis zur Geldstrafe für Handarbeit an Sonn- und Feiertagen oder für Schlafen während der Predigt. Auf staatlicher Ebene wuchsen sich derartige Tendenzen zum konfessionellen Absolutismus aus, wie er sich im katholischen Spanien des ausgehenden 16. Jahrhunderts unter Philipp II. oder im anglikanischen England unter Elisabeth I. etablieren konnte. Die höchste Gewalt über Staat und Kirche lag von nun an beim weltlichen Regenten, für den die Glaubenseinheit Grundlage der staatlichen Integrität werden sollte.Doch bereits nach Luthers Tod und dem Ende des Konzils von Trient durchzog ein Riss nicht nur das Deutsche Reich, sondern ganz Europa. Norddeutschland war weitgehend protestantisch geprägt, während sich katholische Gebiete im Süden und Westen unter den Habsburgern und Wittelsbachern behaupten konnten. Die Schweiz war konfessionell gespalten, in Polen geriet der Katholizismus in eine ernste Krise. Während Italien und Spanien weitgehend von der Reformation und damit von der fortschreitenden konfessionellen Differenzierung unberührt blieben, konnte sich die Reformation in Skandinavien aus politisch-nationalen Gründen schon früh durchsetzen. Nachdem die Versuche des Dänenkönigs Christian II., mit kirchlichen Mitteln die Unabhängigkeitsbestrebungen Schwedens blutig zu unterdrücken, 1521 durch den Aufstand unter Gustav Wasa zunichte gemacht worden waren, konnten sich die nationalkirchlichen Kräfte durchsetzen. Der Einfluss der Kirche wurde in den Hintergrund gedrängt, die Kirchengüter wurden von der Krone annektiert. Diese Niederlage leitete im dänischen Mutterland eine Wende zum Protestantismus ein, die auch im abhängigen Finnland und in Norwegen durchgesetzt wurde. 1536 wurde das Augsburger Bekenntnis zur Staatsreligion erhoben. Unter Christian IV. war schon die bloße Anwesenheit katholischer Geistlicher im Land bei Todesstrafe verboten.In England führten die Auseinandersetzungen Heinrichs VIII. mit Papst Klemens VII. um die Annullierung seiner Ehe mit Katharina von Aragonien und die Affäre mit seiner Hofdame Anna Boleyn zum Bruch mit Rom. Unter dem Einfluss Cromwells erklärte sich der König 1532 selbst zum Oberhaupt der Kirche in England und verabschiedete 1534 die Suprematsakte, ein Bündel von Gesetzen, das den Einfluss Roms in England zurückdrängen und die Thronfolge Anna Boleyns sichern sollte. Trotz der Auflösung der Klöster zur Sanierung seiner Finanzen, der größten Verschiebung von Besitzverhältnissen im England der Neuzeit, hielt Heinrich noch 1539 unter Androhung schärfster Strafen an katholischen Traditionen wie Kommunion, Zölibat oder Privatmesse fest. Unter Maria der Katholischen kam es sogar noch einmal zu einem Versuch, den Katholizismus gewaltsam wiederherzustellen. Die mehreren hundert Hinrichtungen bei ihren Verfolgungen der Protestanten trugen Maria den Beinamen »die Blutige« ein. Erst die politisch verhängnisvolle Exkommunikation und die Absetzung Elisabeths I. durch Papst Pius V. verhalfen dem Protestantismus in England 1570 endgültig zum Durchbruch. Massive Verfolgungen, diesmal der Katholiken, waren die Folge.Die Situation in Frankreich unterschied sich insofern von der im übrigen Europa, als das gesamte Kirchenwesen auf den König ausgerichtet war. Hatte noch Franz I. - wenn auch vielleicht mit Rücksicht auf seine kirchlichen Einkünfte - keine Abweichler in seinem Reich geduldet, so konnten sich trotz einzelner Verfolgungen unter Heinrich II. die Kalvinisten, in Frankreich als Hugenotten (= Eidgenossen) bezeichnet, weiter ausbreiten. Seit der Nationalsynode von Paris 1559 formierten sie sich zu einer politischen Partei und formulierten als ihr Bekenntnis die Confessio Gallicana. Zwischen ihnen und ihren katholischen Widersachern, besonders der lothringischen Adelsfamilie der Guise, kam es seit 1562 zu einer Reihe von blutigen religiös, vor allem aber machtpolitisch motivierten, Auseinandersetzungen. Ihren traurigen Höhepunkt fanden diese Hugenottenkriege in der Bartholomäusnacht von 1572, in der viele tausend Hugenotten ums Leben kamen. Erst mit dem Edikt von Nantes wurde den Hugenotten 1598 eine beschränkte Religionsausübung und politische Gleichberechtigung zugestanden. Das Edikt sah auch 150 Sicherheitszonen vor, in denen die Protestanten nicht nur eine eigene Kirchenstruktur, sondern sogar militärische Organisationen aufbauen durften. Die eigentliche Bedeutung des Edikts von Nantes bestand aber eben darin, dass es das absolutistische Prinzip einer einzigen Religion durchbrochen hatte.Im Absolutismus als dem allgemein verbreiteten Herrschaftssystem des 17. Jahrhunderts regierte der Herrscher »von Gottes Gnaden« und war niemandem außer Gott und sich selbst Rechenschaft schuldig. Er stand auch moralisch weitgehend über dem Gesetz, seine gesellschaftlichen Stützen waren die Beamtenschaft, Adel und Geistlichkeit. Insbesondere im Frankreich Ludwigs XIV., der von 1661 bis 1715 regierte, wurde der Staat geradezu durch den König repräsentiert (»L'état, c'est moi!« = der Staat, das bin ich). Kirchenpolitisch kam es zur Einrichtung einer katholischen Staatskirche mit königlichen Weisungsbefugnissen: Stellenbesetzungen erfolgten nur unter Mitsprache der Krone, und päpstliche Beschlüsse bedurften ihrer Bestätigung durch den König. Um die Rechte des Papsttums weiter zu beschneiden, verabschiedete 1682 ein Nationalkonzil in Paris die von Kardinal Bossuet entworfenen vier »Gallikanischen Artikel«, in denen festgelegt wurde, dass sich der Papst dem Willen der Gesamtkirche und den Beschlüssen eines Konzils zu beugen habe. Ludwig nahm die Wiederherstellung der Glaubenseinheit in Frankreich wieder in Angriff: Er ließ die Protestanten durch militärische Einquartierungen, die Dragonaden, drangsalieren und verfügte die Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes im Jahr 1685, was die endgültige Massenflucht der Hugenotten in die Niederlande, England und Brandenburg zur Folge hatte.Das Staatskirchentum in Frankreich setzte sich durch: Kirche und Staat wurden unter staatlicher Hoheit so eng miteinander verbunden, dass Kirche nur noch als Kirche des Staates erschien. Auch in Deutschland und Österreich im Übergang zur Zeit der Aufklärung fanden durch die Stärkung der bischöflich-nationalen Rechte im Episkopalismus ähnliche Entwicklungen statt. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte das Staatskirchentum in Österreich unter Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Im Theresianismus und Josephinismus erhielt die Volksbildung durch die Einrichtung von Volksschulen und eines planmäßigen Religionsunterrichts einen neuen Stellenwert. Während die öffentliche Religionsausübung streng reglementiert wurde, sicherte Joseph II. in seinem Toleranzpatent 1781 die private Religionsausübung auch für Andersgläubige. Feiertage, Wallfahrten und Prozessionen wurden hingegen weitgehend reduziert, seit 1782 wurden zahlreiche Klöster und Stifte aufgehoben, das Theologiestudium unter staatlichem Einfluss neu organisiert. Als der Kaiser dann aber dazu überging, die Zahl der Kerzen bei Messen und den Gebrauch von Säcken statt Särgen bei Beerdigungen vorzuschreiben, zwang ihn der öffentliche Unmut zur Rücknahme der Beschlüsse. Indessen war das kirchenpolitische Ziel, die völlige Abhängigkeit der Kirche von den Bedürfnissen des Staates, längst weitgehend erreicht worden.Dr. Ulrich RudnickGeschichte der katholischen Kirche, herausgegeben von Josef Lenzenweger u. a. Neuausgabe Graz u. a. 31995.
Universal-Lexikon. 2012.